Im vergangenen Jahr blieben zwölf Prozent der angebotenen Ausbildungsplätze unbesetzt. In Summe sind das laut Arbeitsagenturen 63.000 Stellen. Aber nicht alle Unternehmen bieten ihre freien Lehrstellen dort an. „Wir gehen von einer Quote von 40 Prozent unbesetzter Ausbildungsstellen aus“, sagt Dirk Werner, Leiter des Kompetenzfelds berufliche Qualifizierung und Fachkräfte am Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Vor allem kleine Unternehmen würden ihre offenen Stellen bei der Arbeitsagentur nicht melden, weil sie sich wenig Hoffnung machen, dass ihnen eine Besetzung mit deren Hilfe gelingt.
Lage verschärft sich von Jahr zu Jahr
Immer mehr Ausbildungsplätze bleiben vakant: 2009 sind es rund 18.000 gewesen und damit dreieinhalb Mal weniger als im vergangenen Jahr. „Die Betriebe sind nervös, die jungen Leute haben beste Chancen“, sagt Dr. Monika Hackel, Abteilungsleiterin am Bundesinstitut für Berufsbildung BIBB auf Nachfrage von heise online. Der Zuwachs an unbesetzten Ausbildungsstellen. „Sinkendes Interesse der jungen Menschen an einer Berufsausbildung ist der Hauptgrund“, sagt Hackel. Betroffen sind vor allem die Klassiker unter den Berufen: das Handwerk, die Pflege und die Gastronomie. Denn diese Tätigkeiten sind entweder körperlich anstrengend oder fordern Schichtarbeit.
Allein IT-Berufe sind gefragt
Unberührt vom Azubi-Defizit sind allein die IT-Berufe: Deren Ausbildungszahlen steigen kontinuierlich an, im vergangenen Jahr auf gut 18.000. Vor zwei Jahren sind die IT-Berufe grundlegend modernisiert worden. Dadurch könnte das Interesse weiter steigen.
Mehr Praktika und mehr Beratung
Was kann helfen? „Viel mehr Berufsorientierung durch Praktika und ausführliche Berufsberatung“, sagt Hackel. Dies lässt die Vertragslösungsquote sinken, weil die Auszubildenden besser auf den Beruf vorbereitet sind. Das sind heute zu wenige. Nach einer Analyse des BIBB wurde im Jahr 2020 jeder vierte begonnene Ausbildungsvertrag vorzeitig aufgelöst – mehr als 100.000 von 465.200 neue Ausbildungsverträge des Jahres 2020.
Eltern müssen mithelfen
Nach Angaben von Hackel müssen die Eltern dazulernen. „Sie sollten wissen, dass ihre Kinder auch mit einer dualen Ausbildung ein gutes Leben führen können.“ Immer noch wollen viele Eltern, dass ihre Kinder studieren, „damit sie es einmal besser haben als sie selbst.“ Hackel empfiehlt stattdessem, die Berufschancen der höher qualifizierenden Berufsbildung zum Fachwirt, Meister und Techniker aufzuzeigen und die berufliche Weiterbildung zu stärken.
Lehrlingsheime wären hilfreich
Besonders schwer tun sich Behinderte, Flüchtlinge, Migranten und andere junge Menschen mit schlechten Startchancen. „Zwischen 13 und 15 Prozent eines Jahrgangs machen keinen Berufsabschluss, die müssen wir dafür gewinnen“, sagt Werner vom IW. Das funktioniere allerdings nur mit intensiver Betreuung, die er insgesamt für Auszubildende vorschlägt: „Wenn die jungen Menschen für die Lehre von daheim wegziehen, brechen sie die Ausbildung häufiger ab.“ Gemeinsame Jugendwohnungen und Freizeitbetreuung wären hilfreich. Und dort, wo Betriebe das allein nicht leisten können, müsse auch der Staat helfen.
Persönliche Begleitung wichtig
Eine persönliche Betreuung beim Übergang von der Schule bis in die Ausbildung hinein hält Werner ebenfalls für erforderlich. „Häufig wechseln die Vertrauenspersonen der jungen Menschen, auch deshalb werden Berufsvorbereitung und Ausbildung abgebrochen.“ Assistierte Ausbildungen mit einer Orientierungsphase vor der Ausbildung und währenddessen eine durchgängige, persönliche Betreuung von einer Person gibt es zwar schon, doch sie werden noch zu selten genutzt.
Markt fordert Trendumkehr
Etwa drei Viertel aller Beschäftigten am Arbeitsmarkt sind nach Angaben von Experten Facharbeiter mit Berufsausbildung. Diese Zahl zeigt die Bedeutung der dualen Ausbildung und macht unmissverständlich klar: künftig fehlen viel mehr Facharbeiter als Akademiker – wenn es nicht gelingt, den Trend sinkender Ausbildungszahlen umzukehren.
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Volksbank Herford-Mindener Land – Bild © aerogondo – adobe stock